Mein Vater, der Held in meinen Leben

Wie üblich war ich am Geburtstag meines Vaters in Urlaub, aber seit mein Vater tot ist, vergesse ich den Geburtstag nicht mehr. Mein Vater wäre dieses Jahr 114 Jahre alt geworden und er ist jetzt bereits 30 tot. Für mich ist er jedoch lebendig wie immer.

Wie komme ich dazu meinen Vater als Held in meinem Leben zu bezeichnen?

Sonnenschein

Mein Vater hatte sich um mich als Kind sehr viel und gleichzeitig gar nicht gekümmert. Er war ein Mensch, der in seiner Welt lebte, viele Interessen hatte und diese auch auslebte. Er war der Älteste von 4 Kindern und wurde so erzogen, dass er für das Wohlergehen seiner jüngeren Geschwister zu sorgen hätte. Das war bei den Brüdern nicht problematisch, aber bei der jüngsten Schwester. Damals erzog man Frauen noch für eine Ehe und wenn diese nicht zustande kam, dann waren die Frauen von ihren Geschwistern abhängig, einen Beruf hatten sie meist nicht erlernt. Meine Tante hat sich zwar allein durchbringen können, hat aber ihr Leben lang meinen Vater Vorhaltungen gemacht, dass sie ihren Traumberuf (Handarbeitslehrerin) nicht erlernen konnte und er deshalb für Ihre Misere verantwortlich sei. Dabei durfte auch mein Vater seinen Traumberuf Förster nicht erlernen, denn als Ältester musste er früh zum Familieneinkommen etwas beitragen. Die jüngeren Brüder hatten eher die Chance, das zu lernen was ihnen vorschwebte. 

Mein Vater wurde im Kaiserreich geboren, erlebte den ersten Weltkrieg als Schulkind und machte nach dem Krieg eine Lehre als Maschinenbauer. Damals musste noch Lehrgeld gezahlt werden, damit man überhaupt eine Ausbildung machen konnte. Die Familie meines Vaters hat die Weltwirtschaftskrise  mit sehr viel Verunsicherung überstanden, erlebte das dritte Reich als geordnetes System, das alle drei Söhne in den Krieg schickte. Zwei Söhne kamen aus dem Krieg zurück, einer galt als vermisst und wurde nie wieder gefunden.

Mein Vater gehörte zu den Zurückgekehrten, damals war er noch nicht verheiratet und fühlte sich weiter für seine Eltern und die Schwester verantwortlich. Dieses Gefühl hat er sein Leben lang behalten, selbst als er dann eine eigene Familie hatte. 

eingegipst

Unsere Familie war eine frühe Patchwork-Familie (wie es sie häufig in der Nachkriegszeit gab). Meine Mutter hatte einen Sohn in die Ehe mitgebracht, dann lebte mein Cousin bei uns und ich war die kleine Nachzüglerin, der Sonnenschein der Familie. Durch eine angeborene Hüftgelenksdysplasie war ich als Kleinkind lange Zeit eingegipst (damit wollte man die Dysplasie beseitigen), somit in meinem Bewegungsdrang behindert und wohl auch von Schmerzen durch den Spreizgips geplagt. Da wurde zum ersten Mal mein Vater mein Held. Er muss mich sehr viel herumgetragen haben, ich durfte bei den Eltern im Bett schlafen und ich habe sehr viel fürsorgliche Zuwendung erhalten. Da meine Mutter bis 22 Uhr putzen ging und mein Vater ein Frühaufsteher war, gingen wir beide immer um 21 Uhr ins Bett. Sein Spruch dazu war: "Um neina (neun) muss man im Bett erscheina" (erscheinen). Was wir beide auch pünktlich machten. Meine Mutter war eine Nachteule und schlief dementsprechend morgens immer länger. Das war aber kein Problem, da mein Vater als Frühmensch um 6 Uhr aufstand unser Tagesgetränk eine Kanne Lindeskaffee braute und mir das Frühstück machte. Damit ich überhaupt etwas gegessen habe, ist er mit mir in der Küche gesessen, bis ich in die Schule losmusste. Er kümmerte sich aber abends recht wenig um mich. Meine Mutter war arbeiten und er in seiner geliebten Werkstatt. mich hat er zu Hause gelassen. Leider hatte ich Angst allein in der Wohnung, was er nie nachvollziehen konnte und dementsprechend auch keine Rücksicht darauf genommen hat. So war ich als Kind abends oft noch lange im Freien unterwegs, da ich nicht allein in der Wohnung sein wollte. Das sind die weniger schönen Erinnerungen, u.a. lag das daran, dass er mich wie eine Erwachsene behandelt hat, ich aber noch ein Kind, mit allen alterstypischen Ängsten war. Seine Werkstatt war mein Spielzimmer und ab und zu wurde ich als Gehilfin eingesetzt, wenn etwas getragen oder befördert werden musste.

Als ich Jugendliche war, war mein Vater bereits in Rente. Er war glücklich, seine Zeit so einteilen zu können wie er wollte und interessierte sich für all die betriebswirtschaftlichen Sachen, die ich in der Schule lernte, also verbrachten wir Nachmittage damit, dass ich ihm Betriebswirtschaft erklärte und wir über die Politik diskutierten. Für mich war es wunderbar, dass er so viel Zeit für mich hatte. Da er ein offener Mensch war, der jeden seine Meinung stehen ließ, waren Diskussionen mit ihm immer eine Bereicherung. Er wertete nicht und betrachtete seine Ansichten nicht als überlegen, so war häufig das Ende unserer politischen Diskussionen, dass er mich als Europäerin bezeichnete und sich als Deutschen. Seine Generation war national orientiert. Er interessierte zeitlebens für neue Techniken und verfolgte sehr wach die Politik. So unterstütze er meinen ersten Computer und war stolz darauf, dass ich mich gut mit den neuen Medien auskannte.

Mein Vater war ein sehr friedfertiger, selbstbewusster Mensch. Er lebte in seinen Interessen, war sehr kommunikativ und nahm jeden so wie er war, verändern wollte er niemand. Das zeigte sich daran, dass selbst junge Menschen zu ihm als alten Mann noch sehr gern gekommen sind. Bei seiner Beerdigung waren fast alle meiner Cousins und Cousinen da. Auch wenn mein Vater ein friedfertiger Mensch war, so hat er doch nicht alles mit sich machen lassen. Sein Widerstand war, dass er sich zurückzog,  meine Mutter hat eher die Konfrontation gesucht. 

Weshalb war und ist er jetzt mein Held? Für mich war er einfach ein wunderbarer Mensch, der mich intellektuell gefördert hat, der immer an mich geglaubt, mich nie als unmündiges Kind behandelt hat. Der zwischen Menschen keine Unterschiede machte, natürlich gab es Gegner (z.B. Geschäftsleitungen, als er Betriebsrat war) gegen die er kämpfte, aber es wurde nie abfällig über diese Personen geredet. Er war ein sehr toleranter Mensch und in vielem mein Vorbild. Und ich war letztendlich auch der Stolz seines Lebens, als es bei ihm ans Sterben ging.

Manches von ihm erkenne ich in meinem Sohn wieder, auch wenn er ein völlig anderer Mensch ist, so lebt doch auch mein Vater in ihm weiter. Mein Sohn hat seine Ruhe, seine Friedfertigkeit, seine Zurückhaltung, seine Begeisterung für die Arbeit, die er macht, geerbt. Er braucht wie mein Vater nicht viele Menschen um sich herum, er kann in sich selbst ruhen. Es ist schon toll zu sehen, wie Eigenschaften wieder auftauchen, obwohl mein Sohn, meinen Vater nie kennengelernt hat (er war schon tot als mein Sohn geboren wurde).

Was habe ich von meinem Vater geerbt? Die Ausgeglichenheit, das vielseitige Interesse, die Freude am Sammeln und das Blockieren, wenn ich gegen meine Überzeugung etwas machen soll (Druck führt bei uns zum Ausbremsen)... aber auch sein chronisches in letzter Minute ankommen. Er war mit all seinen Fehlern mein Held.



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