Unser Tisch - mein treuer Begleiter über weite Strecken meines Lebens

Heute ist mein Tisch umgezogen und ich gebe ein emotional sehr aufgeladenes Möbelstück an meinen Sohn weiter.
 
Diesen Tisch haben wir uns als junges Ehepaar gekauft, wir haben eine stattliche Summe dafür ausgegeben und er hat uns (seit 32 Jahren) treue Dienste geleistet. Da wurde morgens der Kaffee geschlürft und dabei Zeitung gelesen, so musste für meinen Mann der Tag beginnen. Dann wurden unzählige Brunches, Mittag- und Abendessen dort eingenommen. Große Diner zelebriert, viele Gäste bewirtet, Hausaufgaben gemacht, Klassen- und Prüfungsarbeiten korrigiert, gebastelt, Legos sortiert, Fotoalben erstellt, Brettspiele gespielt, Kundengespräche geführt. Wir haben an ihm gelacht, gestritten, geschwiegen aber auch viel diskutiert, so wie das alle Intellektuellen gemacht haben: Essen und politische / kulturelle Diskussionen. Bei uns wurde auch viel über Musik geredet, Jazz, Klassik und Weltmusik, das war unser Ding. Eigentlich brauchten wir nur den Tisch, unser Wohnzimmer war immer Nebensache, die Tischrunde war das Wesentliche. 

Es gab Zeiten, da bangten wir um unsere Einnahmen und ich sah mich schon unter der Brücke hausen. Meine Sorge war, dass man uns die Möbel pfänden würde und der Tisch, er war das einzige Möbelstück, von dem ich mich nicht trennen wollte. Man stelle sich vor, unter einer Autobahnbrücke oder sonstiger Brücke ein ausklappbarer Granittisch, den würde uns niemand klauen, der wär einfach zu schwer. Und wir hätten garantiert ständig Gäste gehabt, die mit uns am Tisch gesessen wären. Ich habe mir komischerweise nie Gedanken gemacht, dass wir nichts zu Essen hätten. Mein Mann hat immer irgendwas zu essen angeschleppt, ich konnte gar nicht so schnell die Lebensmittel verarbeiten, wie er sie anschleppte. Also der Granittisch war der Gegenstand, den ich auf die einsame Insel mitgenommen hätte. 

Und jetzt geht der Tisch weiter, er bleibt in der Familie - beide Kinder wollten diesen Tisch haben. Nun er hat für uns alle eine emotional aufgeladene Bedeutung. In unserer Familie wurde viel und gut gekocht, bewirten war auch immer unser Ding, wenn jemand spontan kam war meist genügend da um die Personen auch noch zu verköstigen. Gemeinsames Essen bedeutete viel Zeit miteinander zu verbringen und interessante Gespräche zu führen. Wenn Gäste kamen saßen wir meist am Tisch, da fühlten sich alle wohl. Dann bot der Tisch viel Platz um alle möglichen Aktivitäten darauf zu erledigen. Also war er ein Arbeits- und Spielplatz. Ich habe immer einen komplett ausgezogenen Tisch bevorzugt, da stand dann alles mögliche drauf, alles was am Tisch schnell gegriffen werden musste, z.B. Servietten, Zucker usw. trotz diesem Schnickschnack war noch genügend freie Fläche, das fand ich einfach toll. Ich gehe davon aus, dass der Tisch dieses Leben weiterführen kann und weiter das Leben meiner Kinder begleitet.

Mein Mann und ich wollten hochwertige Möbel, da uns klar war, dass wir mit unseren Berufen häufiger umziehen mussten, also investierten wir in Qualität und in Design. Ich habe unsere Möbel tatsächlich noch, ohne nennenswerte Gebrauchsschäden, sie wirken benutzt aber nicht abgenutzt. Wir haben es geliebt in hochpreisige Möbelgeschäfte zu gehen und uns die luftigen individuellen Möbelstücke zusammenzusuchen. Unter anderem unseren Tisch. Als wir ihn für den Transport zu meinem Sohn versichern wollten, mussten wir den aktuellen Wiederbeschaffungswert heraus bekommen. Der Tisch wird nicht mehr hergestellt und es wurde uns gesagt, dass man heute Tische nicht mehr so herstellt, die Tischauszüge seien weiterentwickelt. So haben also unsere Wertstücke nur noch Liebhaberwerte. Naja ich habe mir letztes Jahr auch günstig einen Paul Turtle Schaukelstuhl gekauft, aber der wird allerdings noch hergestellt. 

das wird er werden
Ich gehe immer noch gern in hochpreisige Möbelgeschäfte, die Verkäufer haben ein solides Wissen über die Möbel, ihre Herstellung und die verschiedenen Materialien. Man wird individuell beraten, die hören sich an für was man das Möbelstück haben möchte und beraten entsprechend. Man merkt den Verkäufern an, dass sie ebenfalls Freude an den Möbeln haben. Man fühlt sich als eine besondere Person, wobei wir nicht die einzigen sind, die da einkauften. Aber man wird mit Kompetenz beraten und behandelt. Das tut dem Ego gut und lässt einen nicht bei den Preisen zusammenzucken. Man hat das Produkt ausprobieren und sich überzeugen können, dass es tatsächlich so funktioniert wie versprochen. Es ist prickelnd dort einzukaufen, da muss man schon vor informiert hin, um mitreden zu können. Das gilt natürlich auch für spezielle Hobbies, z.B. Bögen, Pfeile, Spiele auch da macht es Spaß einem kompetenten Verkäufer gegenüber zu stehen, mit dem man ein wenig Fachsimpeln kann. 

Ich lebe jetzt mit einem Interimstisch, der uns das Spielen ermöglicht, bis mein neuer Tisch kommt, der für mich einfacher zu bedienen sein wird. Man muss an seine körperlichen Fähigkeiten im Alter denken und da muss vieles leichter zu bedienen sein. Wenn man schon eine Wasserflasche nicht mehr aufbringt, weil die Hände zu trocken sind und der Deckel durchdreht. Dann muss der neue Tisch leicht auszuziehen sein. Der Ersatztisch wird wie der vorherige auch wieder ein (stiller) Begleiter in meinem Leben werden. Ich freue mich schon auf ihn.

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