Ein Jahr der Abschiede...

Als erstes zogen unsere langjährigen  Mitwohner aus, plötzlich wurde es still im Haus. Jahrelang sind sie geräuschemäßig durch unser Schlafzimmer marschiert, es wurde lautstark im Hausflur erzählt, es kam Besuch und es war Leben oben. Jetzt wohnt ein junges Paar mit Kind oben und es herrscht Totenstille...

Dann wurde das Ausmaß der Krankheit meines Mannes sichtbar und er verstarb ruck zuck. Es wurde einsam in der Wohnung. Zurück blieben meine Tochter und ich, eine Rumpffamilie mit einem großen Loch. Ich müßte eher sagen zurück blieb eine Pubertierende mit einer etwas überforderten Mutter, die das donnernde Gewitter des Vaters schwer vermißt. 

Heute hatten wir dann das Abschiedskonzert unseres Chor-Dirigenten. Bedingt durch eine berufliche Veränderung gibt er uns nach ca. 12 Jahren auf. Für alle war es schmerzlich. Dieser Mann hat uns geformt und aus einem Dorfchor einen ordentlichen Chor mit Niveau gemacht. Wir haben uns weiterentwickelt und wenn wir auch alte Stimmen sind, so ist es doch erstaunlich was wir noch leisten können. Es war so egal ob wir gut sind oder nicht, er hat uns alle so mitgenommen wie wir waren und uns gefordert. 

Wir hatten eine erstaunliche Bandbreite entwickelt und haben heute in unserer wunderschönen Sülzbbacher Kirche ein Abschiedskonzert gegeben. Gospel, nicht unbedingt meine Welt, aber es waren sehr schöne Lieder dabei. Für mich hatten diese Lieder auch ein Stück weit Trost vermittelt. Trost zum Weggang von Lothar, dass er mich unfreiwillig allein gelassen hat. Die Hoffnung, dass vielleicht auch wieder etwas Glück kommen könnte, dass mein Elend vielleicht, besser wird. Dass ich aus der Armut rauskomme, dass ich weiterhin Menschen um mich habe, die mir nahestehen, dass ich vielleicht wieder den Rückhalt durch einen zu mir gehörigen Menschen habe. 

Die Gospels erinnerten mich an unseren USA Urlaub und vor allem an Camden. Diese Stadt hat mich am meisten beeindruckt. Sie war schwarz und das Elend war sichtbar. Sie erinnerten mich an den schwarzen Prediger im Shelter, der den Frauen Würde geben wollte, sie erinnerten mich an Tyheid, den schwarzen Freund einer Mitfreiwilligen von unserem Sohn, der in Camden überlebt... Das ist nicht leicht, aber er vermittelt das Lebensgefühl: auch wenn das Leben Scheiße ist, wir machen immer weiter und lassen uns nicht unterkriegen. Sie haben auch was von Begeisterungsfähigkeit und Ekstase, die aus der puren Tatsache gewonnen wird, dass man lebt.

Ein weiteres Phänomen war, dass ich mit meinem Herzen diese Lieder für meinen Mann gesungen habe. Er der nie gesungen hätte, der aber bei unseren Proben für mich anwesend war. Wenn es sowas wie einen Geist gibt, dann war er da. Überall da wo er sich zum Schluss sehr wohl gefühlt hat, da spüre ich ihn, speziell für ihn Kyrie es gefällt mir von all unseren Gospeln am Besten. (Sorry für die Aufnahmequalität)


Als letzten Abschied werden wir unsere Wohnung verlassen müssen. Dieser Abschied steht mir und meiner Tochter noch bevor. Er fällt uns sehr schwer, wir warten noch irrational auf die Rückkehr meines Mannes, auf die Rückkehr in unser "normales" Leben. Wir wollen diesen Abschied noch nicht akzeptieren....

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