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Stadtgrabenstr. in Böblingen |
Ich bin in einer Stadt groß geworden, noch dazu in der Innenstadt. Da konnte man nicht einfach so auf die Straße spielen gehen, sonst stand man mitten auf der B14, die Gläser im Schrank wackelten wenn die Laster auf der B14 vorbeifuhren. Ich habe aber trotzdem auf das Land herabgesehen, fand das Leben im Dorf nur schrecklich, obwohl ich es garnicht kannte. Meine Mutter meinte immer, dass ich mir das genau überlegen solle, auf dem Land sei man was, wenn man studiert hat. Sie ist im Dorf groß geworden und ihr Vater war einer der wichtigen Dorfhororatioren.
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Obereiseseheim |
Naja wir sind dann eher zufällig auf dem Dorf gelandet. Da gab es die Wohnungen, die wir uns leisten konnten. Am Anfang war das Dorf eher unser Schlafdorf, wir hatten dort unseren Rückzugsort, unsere kleine Insel. Durch die Kinder wurden wir aber so langsam ins Dorleben hineingezogen. Man lernte andere Eltern kennen, bekam Kontakt zu den Nachbarn. Da wir den Kindergarten, die Grundschule und sogar eine Bücherei im Ort hatten, waren wir bald in das Dorfleben integriert. Dann moderierte ich Lokale Agenda Gruppen, wir wollten für die Jugend und für den Dorfladen was tun. Beidem war wenig Erfolg beschieden. Trotzdem fühlten wir uns wohl in dem Dorf oder besser dem Ortsteil von Neckarsulm. Es gab Dorffeste, zu denen wir gingen, es gab Weihnachtskonzerte im Ort, es gab tolle Menschen die wir kennenlernten.
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Sülzbach |
Als die Miete teuerer wurde zogen wir noch weiter auf's Land, nach Sülzbach quasi in die Weinberge im Weinsberger Tal. Auch hier war es zu Beginn nur ein Schlafplatz, den wir aber alle von Anfang an liebten. Nur waren hier die Kinder schon größer, es war nicht mehr so leicht, über die Kinder Kontakt zu finden. Da unsere Tochter mit dem spielen eines Musikinstruments anfing und ich mit ihr nicht auch noch wer weiß wohin fahren wollte, ging sie in den örtlichen Musikverein. Das war der Anfang für unseren Einstieg ins Dorfleben. Noch war sie klein und es gab noch nicht so viel Kontakte, aber wir waren mussten schon mithelfen. Dorffeste werden allein durch Ehrenamt gestaltet, bei dem jeder, der in einem Verein ist, mithelfen muss und es ist unglaublich wieviele Menschen man dabei kennenlernt.
Als es dann absehbar war, dass die Kinder das Heim verlassen werden, bin ich zu dem Carmina Burana Projekt in unseren Gesangsverein eingetreten. Damit habe ich auf einen Schlag das halbe Dorf kennengelernt. Wieder waren Feste zu bestreiten, man brauchte Helfer, mein Mann machte begeistert mit und so bekamen wir immer mehr Kontakte und gehörten irgendwann zu dem Dorf dazu.
Als mein Mann dann starb wurde ich regelrecht von den Menschen im Dorf aufgefangen. Ich habe sehr viel tätige Hilfe erhalten, konnte sogar in der Nähe unserer alten Wohnung ein kleines Häuschen finden, in dem ich jetzt lebe, unweit vom Friedhof, wo mein Mann liegt.
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Sülzbach bei der Kirche |
Um mich herum leben die Sängerkollegen und Kolleginnen. Da leben unsere Bässe und Tenöre, der Alt, es sind Päarchen, weit über 80, die nicht nur im Gesangsverein, nein auch im Sportverein waren, die ihre Stückle hier erworben haben und Baumgrundstücke bewirtschaften, die im Grunde ein Stück Dorfgeschichte sind. So wohne ich auf dem "Schuldenberg" (als die Siedlung gebaut wurde, mußten alle Schulden machen, deshalb der Schuldenberg) oder dem Basshügel (dort hatten alle Bässe aus dem Chor ein Baumstückle erworben).
Es
ist erstaunlich wieviel "Kultur" es in unserem Dorf gibt, wir haben
einen Musikverein, einen
Gesangsverein, einen Sportverein, einen
Schützenverein, die Taubenzüchter, den Skiclub, den Fotoclub, den Theaterverein, die Landfrauen, die
freiwillige Feuerwehr, den Kirchenchor, die Young Voices... einen
aktiven Pfarrer, der im Sommer immer ein Pfarrgartenkonzert mit allen
Musikschaffenden macht. Alle machen ihre Veranstaltungen, sowas wie
Jahresfeiern, wir machen Dorffeste, Backhausfeste, Pfingstsporttage,
Weinberg Maratons. Die Kirchen bieten sowas wie Sternguckergottesdienste
an oder sonstige kirchliche Treffen. Diese Kultur wird natürlich von
den Städtern belächelt, da geht niemand freiwillig hin, das wird als
dilletantisch wahrgenommen.
Diese Veranstaltungen sind auch hauptsächlich für die Dorfbewohner interessant, da trifft man sich, tauscht sich aus. Die Theaterstückle usw. sind provinziell, aber sie sind lustig für uns weil sie aus unserem Umfeld erzählen, wer sollte das woanders kennen. So fühlt man sich in anderen Dörfern ein wenig deplaciert, da man deren Geschichten nicht kennt, die Personen nicht kennt. Woanders geht man nur Essen, aber Feiern... das macht man im eigenen Dorf, mit den Leuten, die man dort kennt.
So war ich auf der Blau-Weißen-Nacht unseres Sportvereins. Da geht man nur hin, wenn man mit diesem Verein was zu tun hat, aber das schweißt dann zusammen. Wie sehr hat meine Tochter die Veranstaltungen ihres Musikvereins geliebt, da wurde sie mitgenommen, da gehörte sie dazu. Das Dorf bietet den Menschen, die sich darauf einlassen, im unmittelbaren Umfeld Sozialkontakte, es bietet sowas wie Heimat, sowas wie Dazugehörigkeit, was in unserer heutigen Welt immer wichtiger wird. Die Sozialkontrolle ist nicht mehr so stark wie sie früher war, auch Dorfluft kann heute frei machen...
Als junger Mensch sucht man oft noch die Stadtluft, aber ich verstehe so langsam was meine Mutter mir vor 40 Jahren sagen wollte... ich fühle mich wohl in meinem Dorf.
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