Die 68iger - unser Kampf ging um Jugenhäuser


Ich höre viel Radio und zur Zeit werden wir in den Kulturprogrammen bombadiert mit Sendungen zu den ominösen 68 igern, die dieses Jahr schon 50 Jahre her sind.

Die meisten Hörer dieser Kulturprogramme sind in einem Alter in dem sie die 68 iger noch erlebt haben, aber nicht unbedingt aktiv zu der Zeit waren. Ich war 1968 12 Jahre alt also gerade noch so Kind (damals war man länger Kind und wurde später pupertär) und für uns in der Provinz war dieses Jahr anders. Erinnert wurde ich daran durch eine Sendung mit dem Autor des Buches Kleinstadthippies, der diese Zeit in der Provinz beschreibt und den damaligen Kampf um die  Jugendhäuser erwähnte.

Wie war 1968 für mich, die in Böblingen lebte, nicht weit weg von Tübingen, mit einer amerikanischen Kaserne, GIs die im Stadtbild präsent waren.

Meine Erinnerung ist vor allem der Vietnamkrieg. Wir hatten gerade erst einen Fernseher bekommen und mein Bruder verfolgte diesen Krieg intensiv. Wir sahen all die schrecklichen Bilder, mein Vater, der selbst im Zweiten Weltkrieg im Kessel von Stalingrad gewesen war, kommentierte diesen Krieg immer damit, dass die Amerikaner den nie gewinnen würden. Saigon kannte jedes Kind, auch Ho Tschi Min. Von den 68 Studentenunruhen bekam ich nur den Tod des schönen jungen Mannes (Benno Ohnesorg) mit und es war für mich ein Drama, dass seine Frau schon Witwe wurde. Bei uns zuhause wurde heftig politisch diskutiert, aber ausschließlich über den Vietnamkrieg. Dass Rudi Dutschke angeschossen wurde, ging fast unter dabei. Vom Mai in Paris wurde auch berichtet, das war dann exotisch, weil es außerhalb von Deutschland war und diesen Daniel Cohn-Bendit gab. Für Aufsehen sorgte die Kommune eins mit dem Nackbild und der freien Liebe. Damals war es unvorstellbar, dass Kinder ihre Eltern je nackt sehen würden. Deshalb war diese Kommune schon fast in der Nähe von Beate Uhse, die auch so ein prickelndes Geschäft betrieb. (Was genau das war, das wußte ich damals nicht.)

Ich wurde älter ging inzwischen aufs Gymnasium, war politisch interessiert, ein wenig engagiert und ziemlich isoliert, da wir in der Innenstadt wohnten. Die meisten Jugendlichen meines Alters lebten inzwischen in den Siedlungen am Stadtrand. Treffpunkte gab es nicht viele, die Stadtrandkirchengemeinden boten freitags immer mal wieder Jugendtreffs an, aber wir hatten uns ja von der Kirche abgekehrt und es war für mich zu weit weg. Außer mir gab es noch einige andere Jugendliche, die auf der Suche nach einem Treffpunkt waren, wo wir uns abgrenzen konnten von den Braven, den Angepassten, wo wir was unternehmen konnten oder einfach nur rumhängen. Im Remstal gab es schon die legendären Jugendhäuser, sowas wollten wir auch und bekamen sogar von der Stadt  nach einigen Kämpfen ein leerstehendes altes Haus zur Verfügung gestellt.

hinter dem Brunnen war das Jugendhaus
Am Anfang war das Haus nur zeitweise geöffnet, getroffen haben sich die Jugendlichen aber trotzdem immer dort. So standen wir um den Brunnen, sehr zum Ärger meines Vaters, der dort immer vorbeifahren musste, wenn er in seine Garage wollte. Er schimpfte über die "Gammler" und er war nicht der einzige, für den wir so sichtbar ein Ärgernis waren. Die Stadt wollte aber das Haus ohne Sozialarbeiter nicht öffnen. Also mußten wir um die Festanstellung eines Sozialarbeiters kämpfen, das war unser "politischer" Kampf. Wir waren die aufbegehrenden Jugendlichen, die in der Provinz die verkrusteten Strukturen ändern wollten. Und wir waren sogar erfolgreich, vielleicht wollte man uns ja nur von der Straße weg haben, jedenfalls der Sozialarbeiter kam und das Jugendhaus war nun die ganze Zeit geöffnet.

Hier trafen sich jetzt all die "unangepassten", die Langhaarigen, die Gymnasiasten, die "Rocker" (eigentlich waren das nur Motorradfreunde). Wir durchmischten uns (Lehrlinge und Gymnasiasten) gingen aber dann doch irgendwie jeder in seiner Gruppe einen anderen Weg. Die "Rocker" besetzten, die Kneipe/Disko, im Erdgeschoss, zerlegten sie regelmäßig, wenn sie betrunken waren und bauten sie in den Tagen darauf wieder auf. Wir Gymnasiasten trafen uns zu Gruppenaktivitäten, ich war z.B. in einem politischen Film Club (Pofi) und zeigten und kommentierten Filme mit politischen Hintergrund. Oft war das Jugendhaus auch nur Treffpunkt von dem aus wir nach Tübingen oder Stuttgart trampten. Wir Jugendlichen, die sich dort trafen waren quasi die Spätfolgen der 68iger, wir waren sehr politisch interessiert und auch ich wusste dann wer Rudi Dutschke war. Wir hatten unsere politischen Lokalhelden, die schon in Tübingen studierten und irgendwie bei den 68igern mitgemischt hatten. Zu der damaligen Zeit war es auch so, dass wir in der Schule als der Putsch in Chile war und Allende gestürzt wurde, statt Unterricht zu machen einen ganzen Tag lang über die politische Situation in Chile und über die Rolle der USA dabei, diskutierten. Alles war im Umfeld der Jugendhäuser politisiert. Wir identifizierten uns alle mit unserem Jugendhaus, das wir uns erkämpft hatten, in dem ich einige meiner früheren Hauptschulkameraden wieder traf und in dem die verschiedenen Gruppierungen sich in der Disko beim Abhängen trafen und verbindendes fanden.

Mein Vater stellte übrigens das Geschimpfe über die gammelnden Jugendlichen ein, als plötzlich seine Tochter auch dabei war und er mitbekam, was wir alles im Jugendhaus machten.

So hatten wir etwas verspätet unsere 68iger Zeit, die eigentlich mit der Uni nichts zu tun hatte, deren Heldentaten aber noch auf uns ausstrahlten. So war die berühmte Kommune eins ein Vorbild, wie wir im Studium leben wollten. Bei uns waren es dann Wohngemeinschaften, keiner redete mehr von Kommunen. Auch politisches Engagement für die Unigremien, war z.B. für meinen Mann eine Selbstverständlichkeit.

Später versuchte ich meine Kinder, für die inzwischen selbstverständlichen Jugendhäuser zu begeistern. Das waren für sie Orte, wo sie nie hingehen würden... so ändert sich die Zeit und sie haben sich das ja auch nicht erkämpfen müssen.


http://www.sueddeutsche.de/leben/kommune-revolution-am-bettrand-1.3548573-4

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