Sport, Sport über alles
Neulich kam meine Tochter total geknickt von einem Akrobatik-Yoga treffen. Sie macht das für ihre Verhältnisse sehr gut, aber durchtrainierte Mit-Yogis schüchtern sie ein. Dann kommt auch bei ihr das Martyrium des Sportunterrichts hoch und ihr Selbstwertgefühl macht eine Talfahrt. Ich kann hundertprozentig mit ihr mitfühlen. Der Kopf befiehlt einem weiterzumachen, das Gefühl sagt einem was für eine Null man doch ist. Grauslig, wenn man nicht dafür gemacht ist, kommt man bei Sport nie in einen Flow-Zustand. Sport wird mir nie positive Gefühle vermitteln können, er ist immer die Quelle meines Mißerfolgs und Versagens. Wie anders ist es doch mit Kunst, wie befügelnd, wie leicht, wie mitreisend sie ist.
Was ich aber viel bedenklicher finde ist, dass meine Tochter sich weiter beklagt hat, dass sie unter Jugendlichen immer als erstes gefragt wird, welches denn ihr Sport sei. Wenn sie dann erwidert, dass sie zwei Instrumente in drei verschiedenen Orchestern spielt, sei die Antwort AHA UND WAS IST DEIN SPORT? Es wird völlig ignoriert, dass bei diesem intensiven musizieren im Grunde keine Zeit mehr für Sport bleibt. Es ist offensichtlich so, dass gesellschaftlich Sport das meiste Ansehen hat, alles andere ist unnötiger Schnick Schnack. Schon deprimierend, dass dieser enorme Zeiteinsatz für das Hobby des Musizieren nicht gesehen wird bzw. nichts wert zu sein scheint.
Dass die Fußball Bundesliga, während des Lockdowns, nicht spielen konnte war ein Drama und es wurde alles getan, damit die Spiele wieder stattfinden konnten. Geisterspiele wurden übertragen, den Leuten fehlte offensichtlich ein wichtiger Teil ihres Lebens. Wahrscheinlich fehlte die Bundesliga mehr als die eigene sportliche Betätigung. Für junge Menschen scheint Körperlichkeit ein Wert an sich zu sein und das zeigt sich dann in Sportlichkeit, Hauptsache man kann sagen ich spiele Fußball, Handball oder sonstige Sportarten, schon ist man normal und steigt im Ansehen.
Wahrscheinlich war das als ich jung war auch schon so. Ich kannte nur wenig sportliche Menschen. Irgendwie interessierten wir uns für Politik, Filme, Festivals, Wir waren mit in der Gegend herumtrampen, auf Demos gehen beschäftigt. Ich wüßte von keinem Freund, der irgendwie sportlich aktiv war. Wir waren deswegen auch nicht dick und unbeweglich, wir tanzten und schwammen gerne, aber nicht so dass wir allen mitteilen mußten, dass dies unser Sport ist. Man machte es halt, wenn man Zeit hatte. Natürlich gabs bei uns auch schon die durchtrainierten Körper, aber das waren oft Leute, die in ihrem früheren Leben, intensiv Kraftraining betrieben haben, weil sie z.B. bei den Marines waren und das zu ihrer damaligen Arbeit gehörte.
Dass Sport in meinem Freundeskreis nicht im Vordergrund stand war für mich sehr angenehm, ich gehörte in den Intellektuellen- und Künsterkreis und fühlte mich dort auch wohl.
Erst im Alter, beim Bogenschießen, komme ich mit sportlichen Menschen zusammen. Mich schüchtert es schon ein, wenn einzelne Schützen mit einer "ich bin gut" Ausrüstung ankommen, dabei habe auch ich sehr wertvolle Bögen, die durch ihre Schönheit bestechen aber nicht vermitteln, da kommt ein Profi. Mich schüchtert, die sportliche Beweglichkeit vieler Bogenschützen ein, ich sehe mich dann unsicher durch die Gegend schleichen. Die unermüdlichen Versuche meines Freundes, mich zu verbessern, nehmen mir nicht das Gefühl ein Dilettant zu sein. Es ist schön, dass sportliche Menschen Freude und Spaß an der Bewegung haben, für mich ist es immer wieder die Bestätigung, dass ich dafür nicht geschaffen bin. Ich komme beim Sport nie in einen Flow, sondern eher in Panik und in die Erwartungshaltung des Versagens. So etwas empfinde ich nie, wenn ich mich künstlerisch betätige, da werden Werke, die mißlungen scheinen, so lange bearbeitet, bis trotzdem kleine Kunstwerke daraus werden.
Sport ist heute einfach Mainstream und man muss damit leben, dass man ein Außenseiter ist, wenn man in diesem "Stream" nicht mitschwimmt. Vor allem sein Selbstwertgefühl sollte man dann schützen und sich schleunigst andere Bereiche suchen, die ihm wieder auf die Beine helfen.
https://www.citynews-koeln.de/umfrage-singles-fitness-gelegenheitskippe-partnersuchende-raucher-_id9124.html |
Kommentare
Kommentar veröffentlichen