Kreuziget ihn, kreuziget, kreuziget... die Passions...zeit

Es ist kurz vor Ostern und die verschiedenen Passionen werden in den Chören gesungen. Gestern haben wir die Johannes-Passion von Bach gesungen und am Karfreitag werden wir die Markus-Passion von Reinhard Keiser singen. Ein wesentlicher Gesangsteil ist, wenn das Volk schreit, dass Jesus gekreuzigt werden soll. Es ist so aggressiv, so vernichtend, so kompromisslos, so zerstörerisch.

Das berührt mich immer sehr, weil es für mich gerade ein Sinnbild ist, wie wir momentan in weiten Bereichen miteinander umgehen. Die Kriege, die wir gerade in der Ukraine haben und in Palästina. Das ist auch so kompromisslos, so verachtend, Rache- und Eroberungsfeldzüge. Was zählt da der einzelne Mensch, der zufällig in dieser Region lebt und seine Heimat liebt, er wird überhaupt nicht beachtet, muss um sein Leben bangen, weil Ideologen sich vermeintlich heere Ziele in den Kopf gesetzt haben und einen Teil des Volkes hinter sich bringen konnten und sie schrien KREUZIGE IHN, KREUZIGE, KREUZIGE...

Aber auch in unseren Betrieben kann man manchmal das Gefühl bekommen, dass jeder gegen jeden ist, man muss um seinen Arbeitsplatz bangen, weiß nicht mehr wer Freund und wer Feind ist. Die Unzufriedenheit in den Belegschaften ist sehr hoch. In unserer Gesellschaft wird sehr viel am Verdienst festgemacht, der muss stimmen, aber er ersetzt nicht den respektvollen Umgang miteinander. Es wird viel verlangt von den einzelnen Mitarbeitern, wenn jemand schlapp macht, dann erzählt man ihm dass andere das locker machen würden. Am liebsten hätte man nur High-Performer und vergisst, dass es auch Menschen gibt, die wenig zum Erfolg beitragen können, die aber auch eine Lebensberechtigung haben. Das ist für unser kapitalistisches System sozialromantischer Kitsch, dieses Denken. Selbst in Bereichen wo es auf den zwischenmenschlichen Kontakt ankommt, zieht die Marktwirtschaft ein. Da wird getaktet mit den zu betreuenden Personen umgegangen. Zeit ist etwas was man für die Verwaltung und Dokumentation braucht, aber nicht für den Kontakt mit dem "Produkt" alter Mensch... In Pflegeberufe gehen Menschen, weil sie mit den jeweiligen Hilfebedürftigen auf menschlicher Seite in Kontakt kommen wollen, dazu haben sie aber in einer durch taylorisierten Arbeitswelt keine Zeit mehr. Ich habe es erlebt, dass Krankenschwestern planten, ins benachbarte Ausland zu gehen, dort würde noch mehr auf empathischen Umgang miteinander geachtet wird. Das erzeugt, zusammen mit den für heutige Verhältnisse unmöglichen Arbeitszeiten (Nacht-und Wochenendarbeit), Unzufriedenheit und lockt wenige Menschen in diesen Beruf. Es wird geklagt, dass es zu wenig Fachkräfte gibt, mir ist schleierhaft wo die hin verschwunden sind, so stark hat sich doch unsere Gesellschaft nicht dezimiert... könnten vielleicht die Arbeitsbedingungen daran schuld sein... in der Gastronomie gibt es mehr Gäste wie Kellner. 

Man hat aber nicht nur in der Arbeitswelt den Eindruck, dass sich der Umgang untereinander verändert hat. Es scheint, als ob nach Corona und den ganzen Maßnahmen, die da angeordnet wurden, die Menschen noch ICH-zentrierter geworden sind. Man zieht sich in kleinste Einheiten (Familie & Freunde) zurück und der Rest ist einem egal. Man achtet sehr genau auf seinen Vorteil und ist zu Kompromissen kaum bereit. Gemeinsames Eigentum wird mutwillig zerstört, auch auf dem Land. Ich finde es schrecklich mit anzusehen, wie in den Wartehäuschen der Stadtbahnen die Glasscheiben rausgeschlagen oder mit Essen beschmiert werden. Müll wird achtlos weggeworfen, so dass freiwillige Putzkolonnen im Frühjahr losziehen müssen und Müll-Berge entsorgen. Haus- und Sperrmüll wird in den Weinbergen und Wäldern entsorgt... Es scheint, als ob überhaupt keine Wertschätzung gegenüber, der zur Verfügung gestellten gemeinsam nutzbaren Infrastruktur da ist.

Gleichzeitig amüsieren wir uns was das Zeug hält, eine Comedy-Veranstaltung nach der anderen, alle möglichen Märkte und sonstige Zerstreuungsmöglichkeiten. Aber alles wirkt ein wenig schaal, ein wenig überholt, weil die Märkte weniger bunt, die Innenstädte verödeter, die Sehenswürdigkeiten überlaufener, alles irgendwie anders geworden ist. Das ist im Grunde spannend, aber irgendetwas fehlt... man kann es nicht genau beschreiben ... deshalb leben wir nach dem Motto weiter so ... auch wenn es schaal ist. 

Es kommt mir manchmal vor als ob wir einen Tanz auf dem Vulkan machen und ich muss an Klaus Manns Roman Der Vulkan denken.

Die Metapher des Vulkans taucht mehrfach in dem Buch auf, so beispielsweise im Dritten Teil (1937–1938), viertes Kapitel. Darin kommentiert die Exilantin Marion von Kammer den Anschluss Österreichs: „Man lässt das Scheußliche rasen, zerstören, sich austoben! Als wäre es eine Naturkatastrophe! Als lebten wir auf einem Vulkan, der Feuer speit! Es gibt keine Hilfe. Jeder wartet, ob es ihn trifft.“

https://austria-forum.org/af/Bilder_und_Videos/Historische_Bilder_IMAGNO/Zasche%2C_Theodor/00118842

 

Kommentare

Beliebte Posts