Totensonntag - Erinnerung an meine Toten

Heute ist Totensonntag, wie erinnern wir uns?

Ich bin nicht auf den Friedhof zum Grab meines Mannes gegangen. Das Grab meines Vaters gibt es nicht mehr und das Grab meiner Mutter wird nur noch bis Mai 2018 bestehen, dann will mein Bruder es aufgeben. Dann sind die Orte, an denen ich meine Lieben besuchen kann, verschwunden und sie existieren fortan nur noch in unseren Köpfen.

Was bleibt von uns?
Wenn wir Glück haben bleiben wir in den Köpfen von anderen Menschen. Aber das hält halt auch nur eine Generation. Was mein Vater dachte und erzählte, weiß noch ich, mein Bruder und der Mann meiner Cousine. Meine Kinder kennen meinen Vater nicht für sie ist er eine abstrakte Person und noch dazu eine aus einer völlig anderen Welt. Er wurde 1907 geboren, völlig unvorstellbar für sie. Mein Vater hat schriftlich nichts hinterlassen, also weiß man nichts mehr von ihm und ich glaube es interessiert meine Kinder auch nicht. Ich weiß ja auch nichts von meinem Großvater, nur durch einen amerikanischen Freund habe ich überhaupt erfahren, wann er geboren wurde. Am 18. Dez.1879 und was habe ich dadurch von ihm erfahren? Ein paar Bruchstücke, die mein Vater erzählt hat, aber was er für ein Mensch war, was er dachte, was er fühlte, habe ich keine Ahnung, noch nicht mal was er für ein Leben geführt hat. Er hat sich verflüchtigt, einer der zahlreichen Menschen, die mich mit ausmachen, zu denen ich aber keine Verbindung habe. Von meiner Großmutter väterlicherseits weiß ich noch nicht mal den Namen. Ich war Baby als sie starb, wahrscheinlich war sie dement, damals redete man von Verkalkung.

Viele ältere betreiben Ahnenforschung, wollen wissen wo sie herkommen und sind stolz wenn sie eine lange Ahnenreihe nachweisen können. Aber was wissen wir von diesen Toten, im Grunde nur ihr Geburtsdatum, ihre Eheschließung, ihre Kinder und bei viel Glück ihren Beruf. Naja den Ort noch an dem sie erfasst wurden, meist der Geburtsort. Ich muss das nicht wissen, weil ich dadurch nicht weiß was sie für Menschen waren, ob ich ihnen ähnlich bin, welche Schicksale sie durch laufen haben, leise Schicksale, die nie dokumentiert wurden.

Um dem ganzen zu entgehen, habe ich neulich gehört, dass viele jetzt ihre Memoaren schreiben, ihre Geschichte der Nachwelt oder wenigstens ihren Kindern erhalten wollen. Aber interessiert die das überhaupt? So spannend waren doch unsere Leben nicht. Wir haben gelernt, gearbeitet, geliebt, Kinder gezeugt, sind alt geworden, sind überflüssig geworden und schließlich gestorben. Was ist daran spannend. Was hinterlassen wir?

Was wird von meinem Mann bleiben, wenn ich nicht mehr bin. Die Kinder werden sich erinnern und danach ist er in der Geschichte verschwunden, genauso wie viele unserer Vorfahren vor uns. Er wird ein Name sein in einem Kirchenbuch oder Standesregister. Einer der vielen, die mal auf der Welt waren.

Wir haben keine Werke für die Ewigkeit geschaffen, aber wir tragen trotzdem ein Stück Ewigkeit weiter. So hat es jedenfalls meine Mutter gesehen. Ich bin ihre Ewigkeit, in dem ich jetzt im Alter ihr sehr ähnlich sehe, ihre Stimme habe und auch ihre Rolle übernommen habe den Kontakt zu den Verwandten zu halten, alle über die familiären Neugigkeiten zu informieren. Ich unterhalte die Verwandtschaft mit Geschichtchen, ständig bin ich am reden und blicke weitgehend optimistisch in die Zukunft. Meine Therapie heißt ebenfalls arbeiten, wenn es mir schlecht geht. Auch ich lasse mir im Alter nicht mehr alles bieten (ihr Lieblingsspruch "das muss ich mir jetzt nicht mehr bieten lassen"). Die Ewigkeit meines Vaters ist, dass ich seine ausgeprägten Interessen habe, allein sein kann und mir nicht langweilig wird. Leicht Kontakte zu Menschen aufbaue, ohne mich zu eng an sie zu binden. Die Liebe zur Musik (auch wenn wir einen unterschiedlichen Musikgeschmack hatten), die Liebe zum diskutieren und sich aktiv einzusetzten.

Kein Mensch weiß, dass das Gottfried und Helene sind, die weitergetragen werden. So wird von Lothar auch in unseren Kindern was weiterleben und das wird sein ewiges Leben sein, ohne dass in hundert Jahren noch jemand weiß, dass wir gelebt haben.

Mein Mann war fasziniert von diesen Figuren - 7 Monate später war er tot (Ashville USA)

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