Sozialer Stillstand - unwirklich und befremdlich

Mich befremdet immer noch die momentane Situation, obwohl wir etwas Lockerung haben, erste Geschäfte wieder aufmachen dürfen und die Automobilfirmen wieder anfangen zu arbeiten, ist es doch seltsam und weit von "Normalität" entfernt.

Was war denn vor ca. 6 Wochen noch normal? Wir rannten von einem Event zum nächsten, die Straßen waren voll, Staus an der Tagesordnung, Einkaufen, Essen gehen, Wegfahren, sich mit Freunden treffen, den Hobbys nachgehen. Wir waren gut beschäftigt und rannten wie im Hamsterrad, jeder war in Eile und wir hatten ständig Angst, irgendetwas zu verpassen. Halt das Neueste... In meiner Arbeit (der Rettungswache) war ein Gewusel, überall war es laut, man hörte von der Straße her Musik und Stimmen.

Jetzt herrscht Stille, die Straßen sind nicht mehr verstopft, das Benzin ist traumhaft billig, die Autos bleiben häufiger stehen, da man nicht zur Arbeit kann und bei vielen homeoffice bzw. Kinderbeaufsichtigung angesagt ist. Die Stadt ist leer, sogar leerer wie an normalen Wochenenden. Wenn man ins Büro geht, ist auch hier alles verlangsamt, da wir einige unserer Angebote nicht durchführen können, z.B. Schulbegleitung, wenn Schulen zu haben, wird liegengebliebenes erledigt. Mein Kollege erzählt, dass er vom Rettungsdienst inzwischen häufiger zu Sterbenden kommt, da die Menschen Angst vor Arztbesuchen haben und lebensbedrohliche Schmerzen so lange aushalten, bis es zu spät ist und er nur noch den Tod (z.B. durch Herzinfarkt) feststellen kann. Es ist so als ob wir 200 kmh gefahren wären, abrubt auf 60 abgebremst haben und inzwischen mit 40 weiterzuckeln. Wir sind weiterhin aufgefordert Abstand zu halten, müssen ab nächster Woche Masken tragen, die körperliche Distanz und die Aufforderung, dass nicht mehr als 2 bzw 5 Personen (in Räumen) zusammen zu stehen dürfen gilt nach wie vor. Treffen soll man sich immer noch nicht und das bis auf noch nicht absehbare Zeit.

jetzt geht es halt einfach den Berg runter mit den Inlinern
Gleichzeitig haben wir seit diesem Shutdown des öffentlichen Lebens sonniges Wetter. Wir haben April, ich habe die Terrasse schon für den Hochsommer eingerichtet und wir hatten bereits sommerliche Temperaturen. Es regnet seit 6 Wochen nicht, mein Garten ist schon im April eine Trockenwüste und es gibt erste Waldbrände - im April !!!! - weil der Regen ausbleibt. Die Menschen treibt es schaarenweise in die Natur. Statt Autos sind jetzt die Fahrräder unterwegs, Jogger sieht man, Familien die mit den Kindern rausgehen und sich körperlich betätigen. Junge Menschen, die neben den gesperrten Skaterparks, sich alternative Wege suchen um ihren Abfahrtskünsten nachzugehen. Es zieht alle raus, mehr oder weniger darauf achtend nur zu zweit unterwegs zu sein und den notwendigen Abstand zu halten. Ich empfinde die Stimmung als verhalten, Fröhlichkeit ist selten zu sehen.

Heute hätten wir die erste Chorprobe nach den Osterferien gehabt, bis auf weiteres abgesagt. Dass die Konzerte abgesagt sind, ist ja nicht schlimm, aber dass wir uns nicht treffen können, das macht traurig, es fehlt was. Es fehlt der direkte Kontakt, den kann das Internet nicht ersetzen, auch wenn es momentan massenweise virtuelle Chöre, Tänzer und sonstige Aufführungen gibt. Das alles bleibt "fernsehen" und wird nach einer gewissen Zeit schal. Um uns die Zeit zu vertreiben sind wir zu einem Helfervolk geworden. So viele Hilfsangebote, wie es momentan gibt, soviel können die alten Leute gar nicht einkaufen. Das wird eine Beschäftigung in der "arbeits- und ablenkungslosen" Zeit, was nützt uns die überflüssige Zeit, die uns zum anhalten zwingt? Wir fangen an zu verlangsamen und sind auf der Suche nach sinnvollen Tätigkeiten.

Meine Seminare kann ich nicht mehr halten, gleichzeitig bekomme immer mehr Angebote von Webinaren. Alles schön und gut, aber ich fand den Ausschnitt den ich gesehen hatte, sehr anstrengend, mir fehlte die Lebendigkeit, die man in normalen Seminaren hat. Man sitzt angestrengt vor dem Computer und wird mit Wissen überschüttet, noch dazu ist die Bildqualität nicht die Beste. Für unsere Mitarbeiter kann ich es mir nicht vorstellen, die brauchen den praktischen Bezug, abgesehen davon, dass sie gar nicht das Equipment hätten um an einem Webinar teilzunehmen. Für mich ist es eine Krücke, die man benutzt bis man wieder laufen kann, mehr aber auch nicht.

All das Virtuelle wird nie den direkten Kontakt ersetzen, den wir brauchen um uns wohl zu fühlen. Den meisten fehlen jetzt schon die direkten Kontakte mit ihren Freunden und Bekannten. Es fehlt die Vielseitigkeit, man ist nur noch auf wenige Menschen beschränkt, die man um sich haben darf. Es fehlt die Bewegungsfreiheit, die Kontaktfreiheit wir sind nach wie vor in einem unsichtbaren Käfig, der uns von den stimmungsnotwendigen Kontakten trennt.

Wir haben einen unsichtbaren Verhinderer (Corona), der unsere Gesellschaft gestoppt hat, der neue Umgangsformen erfordert und der uns sehr lange in dieser Starre halten wird. Ein gigantisches Experiment, von dem keiner weiß welche Spuren es hinterlassen und welche Veränderungen bleiben werden.
sehr ruhig jetzt in den Gärten - man darf sich nicht treffen


Kommentare

Beliebte Posts