Joni Mitchell - was bedeutet sie mir?

wer kennt sie heute noch die Singer-Songwriterin aus den späten 60iger-70iger Jahren? 

Joni Mitchell, 1974, bei einem Konzert im 
Universal Amphitheatre in Universal City (Kalifornien)

Für mich war sie DIE Stimme mit ihren leicht melancholischen Texten, mit Gitarrenbegleitung, passte sie genau in meine Stimmung als junge Frau. Sie gehörte für mich zu Amerika, zu den Sängern von der Pacific-Küste, Kalifornien, das für uns die Gegend des Easy-Going & Easy-Lifing war. Es war Aufbruch, sich loslösen aus alten verkrusteten Strukturen, es war Ungehorsam, es war Aussteigertum, es war alles anders machen wollen, zu den Freaks gehören. Irgendwie schien alles möglich zu sein und alles schien leicht zu sein. 

Probleme schien es nicht zu geben, man verbreitete das Motto und vielleicht auch das Gefühl: Make love not war.

Tja in Wirklichkeit war es natürlich nicht so, bei uns in Böblingen traf man traumatisierte GIs (Soldaten) die aus dem Vietnamkrieg zurück kamen. Wir waren weit entfernt von dieser medialen leichten und freien Stimmung. Meine Eltern konnten mit dieser Art Musik und Lebensstil überhaupt nichts anfangen. Für meinen Vater war Rockmusik Negermusik, er hörte Märsche und liebte Volkslieder. Zithermusik und die Alpen das war seine Welt. Also hörte ich diese Musik nachts unter der Bettdecke. Der Radiosender AFN (American Forces Network) sendete all die Songs, die später bei uns im SWR3 zu hören waren. Mein Vater schimpfte, dass in der gegenüberliegenden Disco so laut die "Negermusik" gespielt würde. Für ihn war das, was für uns Freiheit, Aufbruch und Weite war, nur Krach, mit dem er absolut nichts anfangen konnte.

Mir half die Musik mich wegzuträumen, ich verlies in Gedanken jede Nacht Böblingen (eine Kleinstadt) und zog in die Weite Welt, die damals hauptsächlich aus Amerika bestand. Dort schien es keine Grenzen zu geben, alles was modern war, kam von dort, wir hatten ein sehr eingeschränktes Bild von Amerika, das nicht im Geringsten der Realität entsprach. Es war unser Traumland und beflügelt wurde das Traumland durch die Musik, die von dort kam. 

Dreamland - mein Lieblingssong
Und Joni Mitchel war für mich eine dieser Traumfiguren, ich liebte die Bandbreite ihrer Stimme, die Texte und die Wandlungsfähigkeit, denn sie wechselte Anfang der 80iger Jahre zum Jazz. (Don Juan's Reckless Daughter bis heute mein Lieblingsalbum). Sie schien so unabhängig zu sein und hoch kreativ, das hat mich schwer beeindruckt. Bei uns gab es Ulla Meinicke, die ich genauso bewunderte. Sie besang das Leben in der Großstadt und da ich damals sehr viel in Berlin war, war es immer das Berliner Lebensgefühl. Während meines Studiums, kam die neue deutsche Welle auf, mit deutschen Texten, angesiedelt vor allem in den großen Städten, auch das war toll, aber nicht ganz so "traumhaft" wie Joni Mitchell, sie lebte in einer anderen für mich nicht konkret erlebbaren Welt. Die deutschen Sänger hingegen, die lebten quasi nebenan... die waren eher meine Realität. 

Trotz aller Kritik, die unsere Generation an den USA hatten, war es für mich doch lange Zeit mein Traumland, in dem alles möglich zu sein schien, und in dem die Kunst anscheinend frei war und ebenfalls alles realisieren konnte. Es war ein Hirngespinst, das von mir nicht in der Realität überprüft werden konnte und das für mich auch ein wichtiger seelischer Fluchtort war, wenn ich eine "heile" Welt brauchte. Die heile Welt wurde für mich über die Musik und auch über die Filme erzeugt.

Wie enttäuscht war ich als ich vor wenigen Jahren mitbekam, dass Joni Mitchel, mein Idol, ihr Kind zur Adoption freigegeben hatte um ihre Karriere als Künstlerin voranzutreiben. Plötzlich wurde sie für mich zu einer berechnenden, kühl planenden Frau und verlor diesen heiligen, perfekten Nimbus. Wie gut, dass ich das früher nicht mitbekommen habe, so blieb mir lange Zeit ein gutes Gefühl, wunderbare Musik und eine Fluchtwelt offen, die die Realität gut ertragen lies, denn die Realität war ja nur eine Übergangsphase bis dann das eigentliche "tolle" Leben auch bei mir beginnen würde.

Leider wurde das Leben nie so toll und sorgenfrei, aber das wäre vielleicht dann auch zu langweilig gewesen. Im Nachhinein betrachtet, waren die schlechten Seiten des Lebens auch Herausforderungen, die die Persönlichkeit mit formten und das Leben abwechslungsreich machten. Ich hatte Glück, denn ich bin wie eine Katze immer wieder auf die Füße gefallen.

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