Klassische Musik - wie hat sie mich oder ich sie gefunden?

Ich komme aus einem Elternhaus, das Musik geliebt, aber nie Klassik gehört hat. Trotzdem gehört sie inzwischen mit zu meiner Lieblingsmusik. Wie kann so etwas kommen?

Als ich Kind war, bedeutete Musik, dass wir im Radio vor allem Volksmusik gehört haben. Die Radios waren riesengroß und mein Vater hörte begeistert Märsche, Polkas und Zithermusik, alles Bayrische war sein Ding. Er selbst hatte zwei Zithern, aber ich habe ihn so gut wie nie spielen gehört. Das Gesicht meines Vaters leuchtete wenn er Volksmusik hörte. Er ging auch in Gaststätten, in denen Zithermusik gespielt oder Gstanzl gesungen wurden. Zu größeren Blasmusik-Konzerten sind wir nie gegangen, das hörte man allerhöchstens in den Bierzelten oder bei diversen Volksfesten. Mein Vater war wohl auch mal in einem Gesangsverein.

Meine Mutter war stolz, dass sie als Kind zusammen mit ihrer Cousine Klavier spielen gelernt hatte. Ich habe sie selbst nie spielen hören. Aber das "Schifferklavier" (Akkordeon) war bei uns ganz groß geschrieben, dafür schwärmten beide Eltern und im Gesangsverein waren beide, da haben sie sich glaube ich auch kennengelernt.

Musik wurde bei uns zu Hause nicht gemacht, meine Mutter war aber der Meinung, dass ich in Rhythmik müsse und war danach überzeugt, dass ich unmusikalisch sei, weil ich nicht nach dem Takt hüpfen konnte. Aber aus mir unbekannten Gründen, durfte ich Flöte lernen und meine Eltern hatten mir sogar ein kleines Akkordeon gekauft. Dass man, wenn man ein Musikinstrument beherrschen möchte auch zu Hause üben muss, das war mir nicht klar und auch meinen Eltern nicht, weil niemand von ihnen es für notwendig hielt mich zum Üben anzuhalten. Dementsprechend bin ich nicht arg weit gekommen, lernte gerade mal die Basics der Musik. Das kleine Akkordeon habe ich abgelehnt, weil ich es für ein total altmodisches Instrument hielt, das ich auf gar keinen Fall lernen wollte. Damals war die Gitarre das non plus ultra. Zum Singen kam ich eigentlich auch nur per Zufall, weil einige Kinder um mich herum im Kinderchor waren, wollte ich auch mit. Singen hat mir richtig Freude gemacht und den Grundstein für meine Liebe zu Messen und Oratorien gelegt, mit Begeisterung bin ich in die Chorprobe sowie zu den Auftritten im Altenheim und in der Kirche gegangen. Aber ich glaube ich war nur bis zum Ende der Grundschule in dem Chor. Auch in der Schule hatte ich nicht viel Musikunterricht. Ich glaube nicht, dass ich in der Hauptschule überhaupt noch Musikunterricht hatte.

Als Jugendlich hörte ich wie alle heimlich AFN, das war das Größte, amerikanische Rockmusik, man war so aufregend mit der weiten Welt verbunden. Später kam Popshop auf und wir alle waren begeisterte Popradio Hörer. Ich bekam schließlich auch einen Plattenspieler und meine erste Klassische Platte war die Brandenburgischen Konzerte von Bach. Das war so anders, so vornehm / distinguiert, ich kannte fast niemand der sowas hörte. Inzwischen war ich auch ins Wirtschaftsgymnasium gewechselt und habe mich brennend für Kultur und Politik interessiert. Bei den Schulungswochenenden mit den JUSOs gab's immer ein Jazzfrühstück, da viele von ihnen Saxophon und Klarinette spielten. Gleichzeitig sah ich nur noch die dritten Programme im Fernsehen und hörte die Kultursender wie SWR2. So rutschte ich in die Klassik und begeisterte mich immer mehr dafür. 

Als ich im Studium ankam, war ich mit Medizinern befreundet, da spielten fast alle ein klassisches Musikinstrument und hatten zum Teil bereits eine Karriere in Orchestern oder ein Studium an der Musikhochschule hinter sich. Aber alle hatten die Musikschule besucht. So wurde ich weiter in die Klassik und in das aktive musizieren hineingezogen. Ging in Konzerte an der Uni, häufiger in klassische als in andere. Mein Mann bevorzugte als junger Mann eher den Jazz und besuchte diese Konzerte.

Beide spielten wir kein Instrument waren aber eifrige CD Hörer und Sammler. Wir liebten beide Klassik, hörten aber auch viel Weltmusik. Der Jazz wurde uns im Laufe der Jahre zu anstrengend. Wir hatten auch immer Freunde, die ebenfalls Musikliebhaber waren, so hörten wir ausgesuchte Musik und waren über die klassische Musikszene gut informiert. Gelegentlich besuchten wir Konzerte.

Als wir nach Heilbronn zogen, gingen wir zum Gedenkkonzert der Bombardierung von Heilbronn am 4.Dezember. Wir hörten das WAR Requiem vom Benjamin Britten, ich war so von dem Philharmonischen Chor begeistert, dass ich hoffte irgendwann mal selbst mitsingen zu können. Es sollte noch ca. 20 Jahre dauern bis ich diesen Wunsch verwirklichen konnte.

Inzwischen hatten aber unsere Kinder ein Musikinstrument erlernt und spielten in Orchestern und dem Musikverein. Also wurden wir regelmäßige Konzertbesucher, da die jungen Musiker ja auch Zuhörer brauchten und Eltern immer stolz auf die Leistungen der Kinder sind. Als zu befürchten war, dass mit dem Verlassen des Elternhauses der Kinder auch unsere Konzertbesuche abnehmen würden. Beschloss ich selbst aktiv zu werden und wieder mit dem singen anzufangen. So singe ich seit 2010 wieder und habe selbst sehr viele Konzerte gesungen. Ich liebe die Auftritte und ich liebe die Messen und Oratorien, die wir singen. Es ist immer ein erhabenes Gefühl und hinterlässt Ehrfurcht, wenn man mal ca. 1400 Zuhörer hat, wie wir sie jüngst bei Leipzig singt hatten. Oder wenn wir es schaffen in einer Kirche eine lebendige Tangomesse zu singen sowie den 4. Dezember mit diversen Requiems würdig singen.

Mein Sohn spielt immer noch hobbymäßig in Orchestern und mein Schwiegersohn ist professioneller Geiger in den verschiedensten Orchestern. Man sieht die Klassik hat sich schrittweise meiner bemächtigt und sie füllt mein Leben aus. Was nicht heißt, dass ich mir auch andere Musik anhöre und diese gern mag, aber die Klassik verleiht mir Flügel...

Leipzig singt - Carmina Burana Gewandhaus 2023



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